Heute Morgen sah ich beim heutigen Me Made Mittwoch (MMM) einen Beitrag zur Schnittmusteranpassung einer Leggings mit der Aufforderung, auch bei Jerseyteilen den Schnitt unbedingt anzupassen und dass das ganz einfach wäre. Bitte nehmt mir meinen kleinen Scherz, dass ich diesen Beitrag als Vorlage nahm, nicht übel.
Eigentlich fand ich den Artikel sehr gut und ich stimme Sam sehr zu, dass Schnittmuster auch bei Jersey angepasst werden sollten, ABER….
…ich stimme nicht zu, dass das so einfach ist!
Vielleicht ist sie ja ein Naturtalent, aber meine Erfahrungen sind da ganz andere.
Das Buch Bekleidung – Schnittkonstruktion für Damenmode (von Guido Hofenbitzer, 2009 erschienen im Europa-Lehrmittel Verlag), dass Sie empfiehlt, hat neu irgendwas zwischen 50 und 100 Euro gekostet. Inzwischen gibt es das nur noch gebraucht, aber selbst da muss man um die 60 Euro hinblättern. Kein Preis, wenn man danach keine Stoffe mehr für die Tonne produziert, aber das Buch ist eine Herausforderung (außer man hat vielleicht Ingenieurwesen oder irgendwas mit technischem Zeichnen gelernt/studiert). Das Buch ist ein Lehrbuch in fast DIN A4-Größe mit 370 Seiten für angehende SchneiderInnen.
Ich bin BWLerin und viele meinen, dass sie meinen Job auch machen könnten. Auch glauben viele, die gerade mal eine Bratpfanne halten können, sie könnten kochen und ein Restaurant eröffnen. Wie dumm müssen da all die anderen Menschen sein, die ihren Beruf 3 bis 6 Jahre lernen und auch danach noch von so manchem Altgesellen in die Tasche gesteckt werden? Ähnlich sehe ich das beim Schneidern. Es gibt Menschen, die lernen das. Das heißt, die machen den ganzen Tag nichts anderes und entwickeln ihre Fertigkeiten über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte. Hobbyschneiderinnen investieren nur ein Bruchteil der Zeit und sollten damit, um ähnlich perfekt zu werden, die „Lehr“-Jahre mindestens verdoppeln, wenn nicht gar verdreifachen.
Darüber sollte man sich klar sein, wenn man mit dem Nähen beginnt. Trotzdem kann man ziemlich schnell kleine Erfolge erzielen und zwar gerade mit Jersey.
Ich brauche Teilerfolge ohne Perfektionismus
Eine Zeitlang hatte ich zwei Nähkurse parallel besucht. In einem unterrichtete eine sehr pingelige Schneiderin, die die Leute immer wieder einbremste und sie dazu anhielt, genauer zu arbeiten, so wie sie das fachlich gelernt hatte. Viele brachen den Kurs frustriert ab.
In dem anderen Kurs (den ich heute noch besuche), passte die Leiterin die Projekte den Kenntnissen und dem Können der jeweiligen Teilnehmer an. Am Ende wurde auch mal geschummelt, da wurde dort noch mal eine neue Naht gesetzt oder irgendwas weggebügelt. Aber die Teilnehmer hatten alle ein Ergebnis und konnten mit stolz geschwellter Brust den Kurs verlassen. Der Wissensdurst nach komplexeren Anpassungen und Schnitten kam nach und nach von ganz alleine.
Mir geht es genauso. Ich brauche Teilerfolge, um dran zu bleiben. Sonst bleibe ich irgendwo in meinen Phantasien stecken und kaufe nur Stoffe, bekomme aber nichts fertig 😀
Eins meiner wichtigsten Aha-Erlebnisse war, dass eben nicht alles perfekt sein muss. Kaufkleidung ist es auch nicht. Gerade letztes Jahr bekam ich viel Schrott ins Haus geliefert, was mich dazu motivierte, doch endlich mal mit dem Bekleidungsnähen durchzustarten. Und da gehören auch viele unperfekte Shirts aus Jersey dazu. Tut mir leid, wenn ich damit dieses Jahr beim MMM den einen oder anderen langweilen werde (war einem Kommentar aus dem letzten Jahr zu entnehmen). Ich bin halt noch nicht so weit, um jeden MMM ein tolles Kleid oder gar eine Hose zu präsentieren.
Trotzdem möchte ich dem MMM treu bleiben, denn hier ist nicht der von Sam in ihrem Artikel erwähnte Fake zu finden (vereinzelt schon, aber das ist die Ausnahme) und das liebe ich am MMM. Daher bekommt ihr heute auch von mir alles 100% real 🙂 Die Fotos sind nicht retuschiert, nur ab und zu habe ich den hässlichen Druckerschrank rechts aus dem Bild geschnitten. Sogar meine schlecht sitzende Lockdown-Frise tue ich euch heute an 😀
Sweatshirt Burda Style 6315
Den Anfang macht dieses Jahr ein Sweatshirt nach einem Schnittmuster von Burda Style. Es ist der Katalogschnitt 6315, den ich runtergeladen und ausgedruckt habe. Eigentlich jahrelang keine Option für mich, da ich Dummie Ausdruck-Schnittmuster genauso bearbeitete, wie von Burda in einer älteren Anleitung beschrieben: Ich schnitt jeden Bogen einzeln. Erst vor Kurzem sah ich in einer Anleitung auf Youtube, dass man bei allen Seiten immer gleichzeitig die rechte und die obere Seite wegschneiden kann. Eine Kommentatorin schrieb dazu, dass sie sich dafür eigens einen Papierschneider zugelegt hat. Den habe ich nun auch 🙂 Dadurch hat sich die Bearbeitungszeit bestimmt halbiert!
Gewählt habe ich die Version C, allerdings mit den Bündchen von Version B:
Die eigentliche Herausforderung war für mich die Stoffauswahl. In einer Anwandlung, kurz nach dem ersten Lockdown letztes Jahr, kaufte ich Sommersweat mit Ankern. Himmel, was hatte mich da geritten? War es die Sehnsucht nach dem Meer:
Nun lag der Stoff da und wollte verarbeitet werden. Mir war recht schnell klar, dass ich den Ankerstoff nicht alleine stehen lassen konnte. Aber womit kombinieren? Neuer Stoff kam hinzu und wurde wieder verworfen, bis mir aus der Restekiste weinroter Jersey entgegenflog. Der passte perfekt! Allerdings war der Rest sehr klein und passte so gerade. Die Bündchen mussten gegen den Fadenlauf zugeschnitten werden und als ich beim Einschlagen der Ringe, den Kragen beschädigte, nahm ich erste Reparaturarbeiten vor. Zum Glück war das der Teil, der nach innen umgeschlagen wurde.
Die Konstruktion des Kragens fand ich zunächst befremdlich, da der Kragen nicht auf der Hälfte umgeschlagen wurde, sondern nur etwas mehr als ein Drittel. Ich wollte bereits im Vorwege etwas ändern, ließ es aber, da ich neugierig war, wie der Kragen wird und wurde nicht enttäuscht. Er fällt wirklich schön, für meinen Geschmack.
Die Größenauswahl
Die liebe Größenauswahl war wie immer eine Herausforderung. Ich bin 4 cm größer, als in der Liste angegeben, weiß aber, dass ich ein Sitzriese bin. Allerdings scheint bei mir die Mehrhöhe im Oberkörper zwischen Taille und Hüfte zu liegen, denn sowohl mein Rücken, als auch die Taillenhöhe sind bei mir wesentlich kürzer, als der Rest. Meine Ärmel scheinen Stummel zu sein. Bei Konfektionsmode hatte ich sonst eher das Problem zu kurzer Ärmel. Dafür soll meine Schulter breiter sein, was ich im Schnittmuster allerdings nicht richtig orten und am fertigen Stück nicht wirklich erkennen konnte. Ich schnitt am Ende alles in Gr. 44 zu, die goldene Mitte und passte nichts an.
Fazit
Am Ende finde ich das Shirt sehr okay, nur die Ärmel hätten tatsächlich wesentlich kürzer sein können* oder ich hätte Bündchenstoff nehmen und die Bündchen etwas enger machen müssen. Aber vielleicht läuft ja noch etwas in der Waschmaschine ein. Meine liebste Anpassung 😆
*Aber auch Ärmel kann man nicht einfach so am Ende kürzen (siehe hier und hier). Da ich das Shirt aber auf jeden Fall noch einmal nähen will, werde ich nicht drum rum kommen.
Edit: Damit sich meine Leser vorstellen können, warum ich das Buch so kompliziert finde, hier ein kleiner Einblick in das Buch (klick auf die Bilder = größer). In den nächsten Wochen (bzw. Monaten 😉 ) werde ich mir zum Vergleich aus drei Büchern (hier die Auflistung) Grundschnitte erstellen und über ihre Praktikabilität bzw. wie leicht oder schwer verständlich sie sind, berichten.
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